Abtragen, Wegnehmen und Brücken bauen

Der Bayerwald-Künstler Michael Lauss zerstückelt die Welt und fügt sie wieder zusammen

Ein Porträt von Stefan Rammer

Wegscheid. Die Herrgottschnitzerei hat er schon längst buchstäblich in den Winkel gestellt. Aber die religiöse Sozialisation war für den 1955 in Linz geborenen und seit langem schon in Wegscheid lebenden und schaffenden Michael Lauss wichtig und auch wegweisend. Er ist aufgewachsen in der Nachkriegszeit, in einer katholischen Bilderwelt des Mühlviertels, inmitten von zehn Geschwistern. Da war die Enge quasi vorgezeichnet. Er musste ausbrechen aus  der häuslichen Geborgenheit und dem Aufgehobensein im Althergebrachten. Freilich um eine Spur zu suchen und zu finden, die ihn als Künstler wieder zu den kulturellen Wurzeln zurück finden lassen sollte.
Der erste Ausbruch aus der Enge führte in eine weitere, ins Kremsmünsterer Seminar. Doch die Flucht in die Arme der Kirche sollte es nicht sein. Er sieht sich als Künstler, der durch Europa vagabundiert. Er wächst hinein in die Zeit der aufmuckenden Jugendkultur der 1960er Jahre, entdeckt den Rebellen in sich, landet aber dann doch in einer Schnitzerwerkstatt in Wegscheid, nahe der Heimat. Mit „schönen“ Schnitzereien lässt sich der Lebensunterhalt verdienen. Es gibt aber auch eine künstlerische Enge, der es zu entfliehen gilt. Er erzählt, dass eine Beteiligung am Kunstwerkermarkt in Krefeld 1988 und  ein Englandaufenthalt ein Jahr später „Erweckungsmomente“  gewesen seien. „Da gingen mir Stück um Stück die Augen auf. Es begannen die Reflexionen, was tue ich? Wo finde ich mich wieder? Wie stelle ich die Welt dar? Ist weniger mehr?“
Er stellt die Sinnfragen und forscht nach künstlerischen Mitteln, innere Zustände darzustellen, sie in die Dreidimensionalität zu übertragen. Die Madonna mit Kind,  unser diesjähriges Weihnachtsmotiv, beginnt ihr Werden als Kiste in den 1990er Jahren. Er erarbeitet sich eine unverkennbare künstlerische Handschrift. Holz bleibt das Material.  Holzblöcken gibt er mittels Motorsäge  durch Abtragen und Wegnehmen die äußere Form. Er höhlt aus, öffnet, zerlegt und setzt wieder zusammen. Er braucht weder Leim noch Schraube, verbindet mit Holzdübeln. All seine Holzobjekte sind zerlegbar und wieder zusammensetzbar.
Die aus  Lindenholz bestehende Skulptur symbolisiert gewissermaßen  den Zusammenbruch der kulturellen Welt, den Riss durch das Individuum. Sie steht aber auch für die Reparatur dieses Bruches.  Die Farbe Rosa führt die gotisch anmutende Madonna in die Gegenwart.  Die normale Welt braucht keine idealisierte Gottesmutter. So wie der Künstler sich mit seiner religiösen Herkunft wieder versöhnt hat, kann diese Skulptur  gerade zu Weihnachten in einer  Zeit der Kriege, des Hasses und der Intoleranz eben auf das Zerrissensein der Moderne hinweisen, gleichzeitig aber auch die wichtigsten Botschaften Weihnachtens verdeutlichen:   Hoffnung, Liebe und Frieden.
Zur Freude an den vielfältigen Formen kommt der Spaß am Umgang mit Farben hinzu. „Wenn man gelb malt, fühlt man sich gelb“, sagt er. Er verwendet  kaum ikonografisch vorgegebene Farben oder kunstgeschichtlich belastete. Durch eine kühne Farbpalette zwingt er zu neuen Assoziationen. Der Madonna gibt er die Farbe Rosa. Mit der Farbe hole er sie in die Jetztzeit, meint er. Die dem traditionellen Madonnenbild nachempfundene Konstruktion thematisiert die Zerbrechlichkeit von Idealbildern. Flüchtigkeit, Vergeistigtes  symbolisiert er auch in einem weißen Engel, im rosa Erlkönig, im pinkdominierten Thanatos.
Das Gegenständliche lässt er freilich  nicht ganz hinter sich. Seine Teile fügen sich letztlich immer zur Figur, egal ob Mensch oder Tier. Die einzelnen Holzstücke formen Umrisse, deuten Auge, Nase oder Mund an. Längst hat er keine Scheu mehr, religiöse Motive zu bearbeiten, die Energie zu nutzen, die in den eigenen Wurzeln steckt. Er arbeitet intuitiv: „Es passiert, ich plane nicht, lasse es zu, über die Hände äußere ich mich, erkenne und erfahre viel über mich.“

Dr. Stefan Rammer
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